Yule kann als Fest des ersten Lichtes verstanden werden. Am 21.12. eines jeden Jahres (um den Dreh rum) ist der Tag, an dem die längste Nachtphase herrscht. Die Sonne hat ihren spätesten Aufgangs- und frühesten Untergangszeitpunkt im gesamten Jahreskreis. Während unser Gemüt bis zu diesem Zeitpunkt immer weniger Tageslicht ausgesetzt ist, geht es von nun an wieder aufwärts und die Tage werden länger. Wir befinden uns mitten in der dunklen Jahreshälfte und nun ist die Zeit gekommen, im Wachstum der Tagphase die Zuversicht keimen zu lassen.
Zur Wintersonnenwende kann man die Dunkelheit der letzten Wochen gut annehmen, ohne sie fürchten zu müssen, schließlich werden die Tage nun wieder länger.
Unser Yule
An unserem Yule-Feuer sinnieren wir über die Zeit seit Samain und wie es uns ergangen ist. Ein Aspekt, der die Gemeinschaft rahmt – und unsere Gedanken und Gespräche begleitet – ist der Begriff „Hoffnung“ . Wir verstehen diesen Begriff als
- Hoffnung auf eine positive Entwicklung (des Menschen, der Welt etc.) durch den Einfluss von nicht steuerbaren Faktoren von Außen. 1
- Hoffnung als Komponente des Verstandes, die eine aktive Lebensgestaltung hinsichtlich positiver Ziele ermöglicht.
Bei Erich Fromm ist Hoffnung eine Begleiterscheinung des menschlichen Dranges nach Wachstum und Entwicklung. Hoffnung wird hier verstanden als Vertrauen in sich selbst und in andere Personen. 2
Geschichte
Das altheidnische Julfest scheint dem nordischen Gott Freyr, der im Skandinavischen auch mit der Sonne gleichgesetzt wird, gewidmet gewesen zu sein. Allerdings ist der aktuelle Forschungsstand nicht eindeutig, weil sich darüber hinaus auch Elemente einer Fruchtbarkeitsfeier in den historischen Quellen finden 3. Der Sage nach kann Freyr (vielmehr sein Schwert = der Sonnenstrahl) sich den Menschen nicht zeigen, während er kämpft: darum ist es Nacht. Die Wintersonnenwende mit der längsten Nacht des Jahres steht demnach symbolisch für die Wiedergeburt oder die Rückkehr von Freyr.
In einer Erzählung aus dem Jahr 1873 heißt es: „Licht bringt Freude, Freude bringt Friede, darum ist der Julfrieden geboten. Freude öffnet die Herzen, darum öffnen sich die Thüren; Freude will getheilt werden, darum ladet man sich Gäste; Freude will genossen sein, darum ruht die Arbeit.“ 4
Freyr reitet auf einem großen Eber, dem sónargǫltr 5 das im altheidnischen Jul offenbar das Ritual des Heitstrenging 6 einbezog: Ein Wildschwein wurde gegrillt und beim gemeinschaftlichen Gelage verspeist, nachdem man die Gelegenheit hatte, feierliche Gelöbnisse zu tätigen… mit einer Hand dem auf dem Schweinebraten. (siehe Bild) 7. In der Heiðreks-Saga heißt es: Ok skyldi þeim gelti blóta at sónarblóti. Jólaaptan skyldi leiða sónargöltinn í höll fyrir konúng; lögðu menn þá hendr yfir burst hans ok strengja heit. („…Und sie opferten einen Eber beim Eber-Opfer. Am Jul-Abend wurde der Sonar-Eber (=sónargǫltr) in die königliche Halle gebracht und die Menschen legten ihre Hand auf die Borsten und leisteten ihren Schwur). Hier war es also wohl eher ein noch lebendes Schwein. Das in unserem Yule-Fest mitschwingende Thema „Hoffnung“ könnte als Adaption dieses altheidnischen Schwur-Rituals gelten.
Kulturvergleich
Christen überall auf der Welt feiern die Geburt ihres Erlösers Jesu Christi, der als „Sohn Gottes“ das Christentum begründet. Religionshistorisch ist das eine entscheidende Neuerung des abrahamitischen Monotheismus: Der zuvor strafende, emotionsgeladene (häufig zornige) Gott, der im alten Testament noch allerhand zu tun hat, um die anderen Götter los zu werden und um seine Anhängerschaft in die Spur zu bringen 10, wird im Laufe des neuen Testaments zu einem gnädigen und gütigen Gott; und zwar 11 aufgrund der Fürsprache Jesu für die Menschen. Hier passt gut der Vergleich mit der Wintersonnwende. Dunkelster Tag und so.
Im Iran und Zentralasien wird die Yalda-Nacht gefeiert. Sie geht zurück auf die Religion des Zoroastrismus, der ca. 1800 Jahre v.u.Z. entstand. Der Überlieferung nach sollen die Kräfte von Dämonen besonders stark sein, so dass man Rituale begeht (oder begangen hat) um sich gegen das Böse zu schützen 12
Im Judentum gibt es das Lichterfest, Chanukka, das die Einweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem 164 v.u.Z. feiert. Der Zeitpunkt des 8 Tage dauernden Festes variiert von Jahr zu Jahr. Auch hier findet sich eine Entsprechung des Themas: „dunkle Stunde – erstes Licht“.
In den Anden (Bolivien) ist des Willakatuti-Fest ein indigenes Fest und neuerdings auch nationaler Feiertag, bei dem die Wintersonnwende als Symbol der Wiedergeburt aufgefasst wird. 13 Weil die Anden auf der Südhalbkugel liegen, ist die Wintersonnwende am 21. Juni eines Jahres.
In bestimmten Sparten des Buddhismus gibt es den Bodhi-Tag, der in Japan am 8.12. und im chinesischen Kalender nach dem Mond berechnet wird und auf Dezember/Januar fällt. Dieses Fest symbolisiert den Tag, als Buddha unter einem Baum saß und erleuchtet wurde.
In der Globalisierungs-Kultur ist Weihnachten zu einem festen Bestandteil vieler Gesellschaften geworden und die diesem Fest zugrunde liegenden christlichen und germanisch-altheidnischen Facetten wurden irrelevant oder sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Stattdessen symbolisieren Weihnachten und die Tage bis Neujahr („Zwischen den Jahren“) eine Zeit, sich aus der Hektik der Welt ausklinken zu können. In unseren Breitengraden bleibt man unter sich und hat „endlich mal Zeit für die Liebsten“. Vom Heidentum erhalten geblieben ist das Geschenke-Ritual, das, angetrieben durch Wirtschaft und Handel zu einem Selbstläufer wurde.
Die Besonderheit dieses popkulturellen Weihnachten besteht darin, dass es fast überall auf der Welt in der einen oder anderen Form gefeiert wird. Insofern wage ich die These, dass es das erste echte globale Fest ist.
Verschiedenes
Die offensichtliche Analogie zu Weihnachten ist nicht von der Hand zu weisen. Wie auch bei anderen altheidnischen Festen wird davon ausgegangen 14, dass der Fest-Zeitpunkt von Jul im Rahmen der Christianisierung Mittel- und Nordeuropas im frühen Mittelalter auf die Erzählung von Christi Geburt übertragen wurde, um den Übertritt der Bevölkerung zum Christentum zu erleichtern.
Fußnoten
- Für einige von uns ist dieser „nicht steuerbare Einfluss“: Gott oder: Götter oder: die Natur oder: das Universum oder: der Zufall etc.↩
- Dabei seien Hoffnung und Glaube eng miteinander verbunden; das eine sei ohne das andere nicht möglich. Hinzu komme die Gewissheit, dass nichts vorhersagbar ist, so dass Hoffnung auch die nötige Flexibilität, sich auf die Veränderungen des Lebens einzulassen, fördert bzw. gewährleistet. Insofern sei Hoffnung auch ein Ausdruck der „Seelenstärke“.↩
- vgl: nationale norwegische Enzyklopädie: https://snl.no/jul↩
- von Düringsfeld, Ida: Das altnordische Julfest. In: Illustrirte Zeitung. Nr. 1590. Leipzig. 1873. S.471↩
- vgl. Beck, H. (2018). “ DER EBER UND DIE HEITSTRENGING“. In Das Ebersignum im Germanischen. Berlin, Boston: De Gruyter. doi: https://doi.org/10.1515/9783110822632-013↩
- Heitstrenging (isländisch „strengja heit“ = „ein feierliches Versprechen“) bezeichnet seit dem 12. Jahrhundert in eddischen Prosa-Texten ein ritualisiertes festliches Gelöbnis. vgl.: Cordes, Albrecht, Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann, und Wolfgang Stammler, Hrsg. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). 2., völlig überarbeitete und erw. Aufl. Berlin: E. Schmidt, 2008. https://www.hrgdigital.de/inhalt.html. ↩
- die Sache mit der Hand könnte aber der Dramaturgie der Erzählungen und Dichtungen geschuldet sein. Wie beispielsweise in: Hörmann, Ludwig von: Das Julfest der alten Germanen. In: Illustrierte Zeitung. Nr. 1435. Leipzig. 1870↩
- Köbler, Gerhard, Germanisches Wörterbuch, (5.) 2014↩
- Köbler, Gerhard, Altenglisches Wörterbuch, (4.) 2014↩
- vgl. Assman, Jan. „Gott und die Götter“. In Fragen nach dem einen Gott, herausgegeben von Gesine Palmer. Tübingen: Mohr-Siebeck, 2007. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/1810/1/Assmann_Gott_und_die_Goetter_2007.pdf↩
- soweit ich es bisher verstehe↩
- vgl. Frey, Dieter, Hrsg. Psychologie der Rituale und Bräuche: 30 Riten und Gebräuche wissenschaftlich analysiert und erklärt. Berlin, Germany [Heidelberg]: Springer, 2018.↩
- Frey, Psychologie der Rituale und Bräuche.↩
- Belegquellen stehen aufgrund der unüberschaubaren Anzahl von Literaturhinweisen noch aus↩